Montag, 31. März 2008

New York, New York (Rheinische Post 07)



Bob Dylan hatte eine Weile in Zimmer 305 gewohnt; Grund genug im Hotel Earle abzusteigen. Kaum angekommen, zog es mich nach draußen in den gegenüberliegenden Washington Square Park. Es war ein Samstag Nachmittag im September; ein heißer Tag wie es sie in Deutschland nur im Hochsommer gab. Der Himmel strahlte. Deutsche Städte waren grau. Samstags nachmittags wurden sie zu Friedhöfen. Im Washington Square Park dagegen tobte das Leben. Drogenhändler, Feuerschlucker und Musiker warben lauthals um die Gunst des Publikums. Menschen aller Rassen tanzten zu Parlament Funkadelic. Hunderte von Blockbuster Radios kreierten ein ohrenbetäubendes Soundtrack. Hyperaktive kleine Hunde bellten und rannten um die Wette.

Am südlichen Eingang versammelten sich die Schachspieler, am nördlichen die Scrabble Spieler. Alle spielten mit einer rasanten Geschwindigkeit als ob ihr Leben davon abhing. Ich beobachtete das bunte Treiben und der Ernst und die Melancholie, die mein bisheriges Leben begleitet hatten, fielen von mir ab. An ihrer Stelle trat grundlos gute Laune. Mir war plötzlich klar: In diesem Trubel, diesem anarchistischen Überschwang war kein Platz für mein Unglück- lichsein.

Meine Schritte hatten plötzlich Schwung; ich hüpfte und stürmte die nächsten zehn Blocks Uptown. Ich ging aufrecht, nicht länger mit zusammengesackten Schultern. Ich machte Augenkontakt, grinste wenn mich jemand anlächelte oder mir ein Kompliment machte. Das Leben in New York spielte sich wie in einer südländischen Stadt auf der Strasse ab. Die Strasse spiegelte meine Stimmung wieder. Mir ging es blendend und deshalb traf ich nur auf freundliche Gesichter. “Hey Babe, wanna come for a ride to Florida?“ sagte der Lastwagenfahrer. “Noch eine Stunde Entladen, dann bin ich startklar.“ “What a great haircut,“ rief mir eine schicke, schwarze Frau zu. „Ola, Mami,“ grinste ein lateinamerikanischer Junge und leckte sich dabei die Lippen.

Die 14.Straße wimmelte von weniger gut betuchten New Yorkern. 99 Cents Stores und billige Läden luden zur Schnäppchenjagd ein. Vor den Geschäften saßen Männer auf Leitern und hielten von ihrer erhabenen Position Ausschau nach Dieben. Sie spornten die Passanten in englisch und spanisch zum Kaufen an. “Come on in ladies and gentlemen. Shop until you drop. Unsere Preise sind die besten!“ Viele Menschen suchten vergeblich ihr Glück im Würfelspiel. Das bunte Treiben, die Schaufenster mit den grandiosen Kinderkleidern aus Tüll- und Spitze, der Geruch von Comida Criolla und Cuchifritos, die Salsamusik, das gesammelte menschliche Durcheinander der 14. Strasse, versetzte mich in Hochstimmung. New York war besser als Alkohol oder Drogen.

Zuhause galt ich als Zappelphilipp. Meine Eltern hatten immer gesagt: Lauf nicht so schnell, red nicht so schnell, fuchtelte nicht so viel mit den Händen. Hier in New York liefen und sprachen alle schnell. Hier war ich normal. Hier gehörte ich hin.

Es war Liebe auf den ersten Blick, irrational und unwiderstehlich. Der Verstand setzte aus. Konnte man sich tatsächlich in eine Stadt genauso unsterblich verlieben wie in einen Menschen?

In meiner Liebesblödigkeit entschied ich mich zu bleiben. Ich ließ mein altes Leben hinter mir, meine Sprache, meine Freunde, meine komfortable Wohnung, meine Sicherheit und die Aussicht auf vierzig langweilige Jahre bis zur Rente. Hier in New York würde ich neu anfangen ohne die Schwere und Trübsaal meines bisherigen Lebens. Alles war neu und prickelnd. Jeder Besuch im Supermarkt ein Ereignis. Sogar die Milch schmeckte anders. Es gab fünfundfünfzig verschiedene Sorten Getreideflocken zum Frühstück, aber kein Müsli.

Im Hotel Earle arbeitete Mubarez aus Pakistan an der Rezeption. Wir freundeten uns an. An meinem vierten Tag sagte er mir: „Du kannst New Yorker werden und trotzdem bleiben wie du bist. Du paßt hier hin. Bleib. Das mit der Arbeit wird sich schon geben.

Fortsetzung folgt.

1 Kommentar:

sasserak hat gesagt…

schöner text, bin auf deine seite durch die übereinstimmung in der zuneigung zu bernhard und genazino gestoßen.
der text ist sehr schön, weil er ein ankommen beschreibt, das nur menschen erleben können, die in der differenz zu sich und den dingen dieser welt die luft zum atmen finden.
aber natürlich auch eine sehnsucht in sich tragen, mit den dingen zu "schwingen" - das jedenfalls ist es, was mir zu deinem new york text einfällt.
grüße
sasserak